Natalia Lyapina


Natalia Lyapina unterrichtet Cello, Klavier und Musiktheorie und das seit über 40 Jahren. Sie wurde 1962 in Russland geboren. Später studierte sie Cello und Klavier am renommierten St. Petersburger Konservatorium bei Prof. Fischmann.

 

Ihre Schüler gewannen zahlreiche Preise, zum Beispiel beim Mravinsky-Wettbewerb. 1997 nahm sie am World Cello Congress teil und spielte dort unter anderem mit dem weltbekannten Cellisten Rostropowitsch.

 

 

Mit ihrer Familie lebt Natalia Lyapina seit 1999 in Göttingen. Neben ihrer Tätigkeit als Lehrerin, komponierte sie eigene Stücke, verfasste Gedichte und war viele Jahre als Chorleiterin aktiv. Drei Jahre unterrichtete sie Musik an der Montessori-Schule in Göttingen, bevor sie 2006 gemeinsam mit ihrem Mann ihre eigene Schule gründete: die Musikschule Liapine.

 

 

So weit die Biographie in Fakten und Zahlen. Doch welcher Mensch steckt hinter den Saiten? Im Rahmen eines Interviews mit der Hamburger Kulturjournalistin Christina Fellenberg verrät Natalia Lyapina etwas mehr über ihren Weg zur Musik, wie es war, Windelwechseln und Üben zu verbinden und welche Unterrichtsphilosophie sie lebt:

 

 

Was ist Ihre erste Erinnerung, die Sie mit Musik verbinden?

Meine erste musikalische Erinnerung stammt aus einem Kurort aus der Umgebung von Leningrad, wo ich auf einer Open-Air-Bühne im Park stehe und singe. Meine Ansage war: “Jetzt wird eine ‘Auftreterin’ auftreten.” (Sie lacht.) So in etwa habe ich mich als Kind selbst angesagt und dann singe und tanze ich und in diesem Park sitzen alte Frauen mit Stricksachen. Sie stricken und lächeln mich an. Das ist meine erste Erinnerung. Die andere ist die an ein Spielzeug-Piano, wo man einfach die Tasten drücken kann. Ich sitze und spiele “Do-re-mi-fa-sol-la-si-do” alle Tasten hoch und runter und singe mit. Nach dieser Geschichte weiß ich genau, dass ich zum Musikunterricht geschickt wurde, denn jemand von den Erwachsenen hat es gehört und hat meiner Mama gesagt, dass ich begabt sei und unbedingt Musik lernen sollte. Eine folgenschwere Geschichte also. (Sie lacht.)

 

 

Die Frage der Fragen: Wie sind Sie zum Cellospielen gekommen?

Ganz einfach: aus Protest gegen das Klavier! Denn ich habe leider sehr schlechte Erfahrungen mit meiner ersten Klavierlehrerin gemacht, die brutal und gemein zu mir war. Meine Eltern haben erst versucht, mich mit Druck und Zwang am Klavier zu halten, da ich überhaupt nicht üben wollte. Als Alternative haben sie mich zum Cellounterricht geschickt und das Instrument habe ich auf Anhieb lieb gewonnen, ja war geradezu in das Instrument verliebt. Hier hatte ich dann auch eine sehr liebe Lehrerin, die mich später auch mit dem Klavier versöhnt hat, sodass ich später gut beides lernen konnte. Aber der erste Schritt zum Glück war eben der Bruch mit dem Klavier und die Hinwendung zum Cello.

 

 

Wer waren Ihre musikalischen Vorbilder?

Meine musikalischen Vorbilder: Swjatoslaw Richter, Emil Gilels, Vladimir Horowitz am Klavier. Und beim Cello ist es natürlich Mstislaw Rostropovich, den ich persönlich kannte und mit dem ich die Ehre hatte, eine kurze Zeit zusammenzuarbeiten, unter seiner Leitung natürlich. Das war ein wunderbarer Cellist und eine herausragende Persönlichkeit.

 

 

Haben Sie einen Lieblingskomponist*in oder ein Lieblingsstück?

Frédéric Chopin ist mein Lieblingskomponist und mein Lieblingsstück sind die Rokoko-Variationen von Tschaikowsky für Cello und Klavier.

 

 

Wie gehen Sie mit dem Notentext um?

Ich lese ihn, je nach Instrument, langsam und versuche den Text als Text “hinzukriegen” und dann “hinter den Text” zu gelangen, um zu verstehen, was der Komponist meinte, was seine Intention war, wie es sich anhören soll. Natürlich beschäftige ich mich dann auch mit den richtigen Tempi. Wenn es ein schnelles Stück ist, dann übe ich das, bis es meiner Meinung nach schnell genug ist. Aber das Wichtigste ist die musikalische Arbeit. Ich muss immer wissen, was der Komponist wollte, warum er gerade so und nicht anders geschrieben hat. Manchmal - zur Bestätigung oder Widerlegung meiner Ideen - höre ich Aufnahmen an. An den Stellen, wo ich schon meine eigene Meinung habe, kann ich gewissermaßen mit den anderen Interpreten innerlich diskutieren und von ihnen lernen, wenn ich beispielsweise etwas Interessantes finde. Dann gehe ich zum Notentext zurück und versuche zu ergründen, wo er das jeweils gefunden hat und ob ich es gutheiße.

 

 

Was bedeutet es für Sie, Klavier- beziehungsweise Cellolehrerin zu sein?

Als Lehrerin bin ich zwei Seiten verpflichtet: meinem Schüler und dem Komponisten, der gerade gespielt wird. Meiner Einschätzung nach muss ich beiden “Dienstherren” gerecht werden. Der Schüler sollte auch das Stück mögen, unbedingt sogar und ich muss den Schüler so für das Stück interessieren, dass er das gern macht, ein gutes Ergebnis erzielt und selbst mit seinem Spiel zufrieden ist. Instrumentallehrerin zu sein bedeutet für mich in erster Linie, meinem Schüler die Musik "in die Seele zu setzen", gewissermaßen “einzupflanzen”, sodass er die Musik nicht als etwas Außenstehendes betrachtet, sondern als etwas, was in ihm selbst lebt und womit er später selbst kommuniziert und alles entwickelt. Also meine Idealvorstellung ist ein Schüler, der so viel von mir mitgenommen hat, dass er mich nicht mehr braucht, sondern selbst aus eigener Kraft musiziert, mit dem Text umgeht und sich neue Stücke dann selbst erarbeitet.

 

 

Was gefiel Ihnen als Kind an einem Ihrer Lehrer*innen?

An meiner Lehrerin und an meinem anderen Lehrer gefiel mir immer ihre Kompetenz und ihr Einfühlungsvermögen. Meine erste Cellolehrerin, die ich immer noch verehre, konnte mich motivieren. Sie konnte mich tatsächlich für das Instrument und auch für die Arbeit am Cello, die manchmal wirklich schwer ist, begeistern und inspirieren, so dass die Arbeit mir auch Freude bereitet hat. Das ist das, was ich versuche, meinen Schüler*innen zu geben. Und meine Professorinnen und Professoren in der Berufsschule und am Konservatorium waren wirklich hochbegabte, angesehene, unglaublich interessante Musiker und ihre Einstellung zur Musik und ihre Art zu unterrichten, haben mich immer fasziniert. Daran nehme ich mir noch heute ein Vorbild: Emanuil Fischman, der Cellist, meine Klavierprofessorin Lübov Brück. Sie sind leider alle schon gestorben. Ich hatte an der Berufsschule eine sehr gute Lehrerin, Elena Prokofjewa, die mir am Klavier eine gewisse strenge Musik beigebracht hat, was ich damals wirklich brauchte. Und meine erste Cellolehrerin hieß Evgenia Iwaschenko. Lew Iwaschenkow war für mich auch ein Vorbild. Er war ein wunderbarer Geigenlehrer und unter seiner Leitung habe ich sehr viele Ensemble-Stücke gespielt und auch viel von ihm gelernt.

 

Wann haben Sie angefangen zu unterrichten und wie konnten Sie Familie und Beruf vereinen?

Meine erste Cello-Stunde gab ich vor über 40 Jahren. Während des Studiums unterrichtete ich wie viele meiner Kommiliton*innen bereits. Ich hatte ja schon vier Jahre Berufsschule hinter mir und war dazu berechtigt zu unterrichten. Als mein erster Sohn 11 Monate alt war, bereitete ich mich gerade auf die Cello-Abschlussprüfung vor. Leicht war das nicht, aber ich habe es irgendwie geschafft, alles unter einen Hut zu bringen.

 

Nun zum Abschluss noch etwas Privates: Summen oder singen Sie manchmal im Auto oder unter der Dusche oder haben Sie einen Ohrwurm von den Stücken am Tag?

(Sie lacht wieder herzlich.) Im Auto summe ich nicht, sonst fabriziere ich noch einen Autounfall. Unter der Dusche singe ich meist auch nicht, aber aus einem einfachen Grund. Ohrwürmer, die Sie erwähnt haben, habe ich so viele. Ich träume jede Nacht von irgendeinem Musikstück, das ich an dem Tag oder am Vortag im Unterricht gehört habe. Manchmal sind das wunderbare Stücke, die meine Schüler gut spielen, manchmal sind das einfach Hanon-Übungen, die mich total zermürben im Schlaf… Deshalb singe ich live ganz wenig. (Sie schmunzelt noch immer).

 

 

Vielen Dank für das nette Gespräch.